1 Jesu, allerliebster Bruder,
der's am besten mit mir meint,
du mien Anker, Mast und Ruder,
und mein treuster Herzensfreund,
der du, ehe wir geboren,
dir das Menschenvolk erkoren,
auch mich armen Erdengast
dir zur Lieb ersehen hast.
2 Du bist ohne Falsch und Tücke,
dein Herz weiß von keiner List;
aber wenn ich nur erblicke,
was hier auf der Erden ist,
find ich Alles voller Lügen;
wer am besten kann betrügen
und am schönsten heucheln kann
ist der allerbeste Mann.
3 Ach! wie untreu und verlogen
ist die Liebe dieser Welt!
ist sie Jemand wohl gewogen,
währt's nicht länger als sein Geld.
Wenn das Glück uns blüht und grünet,
sind wir schön und hübsch bedienet;
kommt ein wenig Ungestüm,
kehrt sich alle Freundschaft um.
4 Treib, Herr, von mir, und verhüte
solchen unbeständgen Sinn.
Hätt ich aber mein Gemüthe,
weil ich auch ein Mensche bin,
schon mit diesem Koth besprenget,
und der Falschheit nachgebänget;
so erkenn ich meine Schuld,
bitt um Gnad und um Geduld.
5 Laß mir ja nicht widerfahren,
was du, Herr, zur Straf und Last
denen, die mit falschen Waaren
handeln, angedräuet hast,
da du sprichst, du wollest scheuen
und als unflath von dir speien
aller Heuchler falschen Muth,
der Guts vorgiebt und nicht thut.
6 Gieb mir ein beständig Herze
gegen alle meine Freund,
auch dann, wenn mit Kreuz und Schmerze
die von dir beleget sein,
daß ich mich nicht ihrer schäme,
sondern mich nach dir bequeme,
der du, da wir arm und bloß,
uns gesetzt in denen Schooß.
7 Herr, ich bitte dich, erwähle
mir aus aller Menschen Meng
eine fromme, heilge Seele,
die an dir sein kleb und häng,
auch nach deinem Sinn und Geiste
mir stets Trost und Hülfe leiste:
Trost, der in der Noth besteht,
Hülfe, die von Herzen geht.
8 Wenn die Zung und Mund nur liebet,
ist die Liebe schlecht bestellt:
Wer mir gute Worte ziebei
und dem Haß im Herzen hält,
wen der Eingennutz regieret,
und, wenn's Bienlein nicht mehr führet,
alsdann geht er noch der Thür,
ei! der bleibe fern von mir.
9 Hab ich Schwachheit und Gebrechen,
Herr, so lenke meinen Freund,
mich in Güte zu besprechen,
und nicht als ein Löw und Feind:
Wer mich freundlich weiß zu schlagen,
ist, als der in Freudentagen
freundlich auf mein Herz mir geußt
Balsam, der am Jordan fleußt.
10 O wie groß ist meine Habe,
o wie köstlich ist mein Gut,
Jesu, wenn mit dieser Gabe
dein Hand meinen Willen thut,
daß mich meines Freundes Treue
und beständigs Herz erfreue:
Wer dich fürchtet, liebt und ehrt,
dem solch ein Schatz beschert.
11 Gute Freunde find wie Stäbe,
da der Menschen Gang sich hält
daß der schwache Fuß sich habe,
wenn der leib zu Boden fällt.
Wehe dem, der nicht zum Frommen
solches Stabes weiß zu kommen!
der hat einen schweren Lauf,
wenn er fällt, wer hilft ihm auf?
12 Nun, Herr, laß dirs wohlgefallen,
bleib mein Freund bis in mein Grab!
Bleib mein Freund! und unter allen
mein getreuster stärkster Stab!
wenn du dich mir wirst verbinden,
wird sich schon ein Herze finden,
das, durch deinen Geist gerührt,
mir was Gutes gönnen wird.