1 Kommt ihr Menschen, laßt euch lehren,
kommt und lernet allzumal,
welche die sind, die gehören
in der rechten Weisen Zahl,
und die billig Jedermann
als verständig stehet an;
ob gleich viele sie verletzen,
und ihr Thun für Thorheit schätzen.
2 Weise sind, die sich selbst kennen,
wie so gar verderbt sie sind;
die sich selber Thoren nennen,
und befinden, wie so blind
beides Wille und Verstand,
weil sie sich von Gott gewandt;
die sich ihrer Thorheit schämen
und zur Buße sich bequemen.
3 Weise sind, die Christum wissen
durch des Geistes Glaubenslicht;
die ihn als die Weisheit küssen,
der es nie an Licht gebricht;
die die Weisheit dieser Weit,
und was sonst die Welt und hält,
fahren lassen aus den Sinnen,
um nur Christum zu gewinnen.
4 Weise sind, die Gott stets stehen
um den Geist, der weise macht;
die nach dessen Leitung gehen,
und darauf stets haben Acht:
denn die Gottes Geist nicht lehrt,
bleiben thöricht und verkehrt,
ob sie gleich von Geistes Sachen
könne klinge Worte machen.
5 Wises sind, die sich erwählen
Gottes Wort zum Prüfestein,
damit sie, nicht mögen fehlen,
zu erkennen Kraft und Schein.
Wer will den betrügen leicht,
der von Gottes wort nicht weicht,
das, wenn Alles auch vergehen,
ohn Aufhören doch bestehet?
6 Weise sind, die das nicht suchen,
was nicht ewig währen mag,
und die kurze Lust verfluchen,
die da bringt ein langes Ach;
die nicht lieben in der Welt
Ehre, Wollust, Gut und Geld,
sondern allem dem absagen,
weil es doch nur mehrt die Plagen.
7 Weise sind, die Gott erwählen,
als ihr höchst und bestes Theil,
und sich nicht vergeblich quälen,
weil doch ohne Gott kein Heil.
Die sich ihm zum Zweck gesetzt,
die sonst nichts als er ergößt,
und ihm zu gefallen trachten;
die kann man recht weise achten.
8 Weise sind, die sich nicht schämen,
sondern deren Sinn sich lenkt,
Christi Kreuz auf sich zu nehmen,
den man selbst und Kreuz gehenkt.
Christi Kreuz bringt lauter Licht,
das verdunkelt nimmer nicht:
wer recht weise denkt zu werden,
liebe Christi Kreuz auf Erden.
9 Weise sich, und voll Verstandes,
die, so lang sie wallen hier,
ihres rechten Vaterlandes
mit entzündeter Begier
sind und bleiben eingedenk,
und nicht mit der großen Meng
andrer sich hier feste setzen,
sondern sich als Pilgrim schätzen.
10 Herr, deß Weisheit zu erreichen,
keinem möglich hier auf Erd;
hilf, daΩs dieser Weisheit Zeichen
ich aus Gnaden fähig werd.
Gieb, daß ich mich selbst recht kenn,
Christum meine Weisheit nenn,
dich um seinen Geist stets flehe,
und vom Worte nie abgehe.
11 DaΩß ich alles Eitle hast
und nur dich allein erwähl;
Christi Schmach und Kreuz auffasse,
und stets meine Tage zähl.
Vater hilf, sammt deinem Sohn
und dem Geist von deinem Thron,
daß ich möge hier auf Erden
doch so klug und weise werden.
First Line: | Kommt, ihr Menschen, lasst euch lehren |
Author: | Johann Anastasius Freylinghausen |
Language: | German |
Copyright: | Public Domain |