1 Herr! aller weisheit quell und grund,
Dir ist all mein vermögen kund:
Wo du nicht hilfst und deine gunst,
Ist all mein thun und werk umsonst.
2 Ich leider! als ein sündenkind,
Bin von natur zum guten blind:
Mien herze, wenn dirs dienen soll,
ist ungeschickt und thorheit voll.
3 Ja, Herr! ich bin gar viel zu schlecht,
Zu handeln dein gesetz und recht;
Was meinem nächsten nutz im land,
Ist mir verdeckt und unbekant.
4 Mein leben ist sehr kurz und schwach,
Ein lüftchen, das bald lässet nach.
Was in der welt zu prangen pflegt,
Das ist mir wenig beyge legt.
5 Wenn ich auch gleich voll kommen wär,
Hätt aller gaben ruhm und ehr,
Und solt entrathen deines lichts;
So wär ich doch ein lauter nichts.
6 Was hilfts, wenn einer gleich viel weis,
Und hat zuförderst nicht mit fleiß
Gelernet deine furcht und dienst?
Der hat mehr schaden als gewinst.
7 Das wissen, das ein mensche fürht,
Wird leichtlich in sich selbst verirrt;
Wenn unsre kunst am meisten kan,
So stößt sie aller enden an.
8 O Gott, mein Vater, kehre dich
Zu meiner bitt, und höre mich,
Nim solche thorheit von mir hin,
Und gib mir einen bessern sinn.
9 Gib mir die weisheit, die du liebst,
Und denen, die dich lieben, giebst;
Die weisheit, die vor deinem thron
allzeit erscheint in ihrer kron.
10 Ich lieb ihr liebes angesicht,
Sie ist des herzens freud und licht,
Sie ist die schönste, die mich hält,
und meinen augen wohlgefällt.
11 Sie ist hoch-edel auserkohrn,
von dir, Höchster, selbst geborn:
Sie ist der hellen sonne gleich,
An tugend und an gaben reich.
12 Ihr mund ist süß und tröstet schön,
Wenn uns die augen übergehn:
Wenn uns der kummer niederdrückt,
Ist sie es, die des herz erquickt.
13 Sie ist voll ehr und herrlichkeit,
Bewahret uns vor grossem leid:
Wer fleißig um sie kämpft und wirbt,
Der bleibet lebend, wenn er stirbt.
14 Sie ist des Schöpfers nächster rath,
Von worten mächtig und von that:
Durch sie erfährt die blinde welt,
Was Gott gedenkt in seinem zelt.
15 Denn welcher mensch weiß Gottes rath?
Wer ist der je ersunden hat
Den schluß den er im himmel schleußt?
Den weg, den er uns wandeln heißt?
16 Die seele wohnet in der erd.
Und wird durch ihre last beschwert:
Die sinnen, bin und her zerstreut,
Sind ja von irrthum nicht befreyt.
17 Wer will erfoschen, was Gott setzt?
Und sagen, was sein herz ergetzt?
Es sey denn, der du ewig lebst,
Daß du uns deine weisheit geb'st.
18 Drum sende sie von deinem thron,
Und big sie deinem kind und sohn.
Ach! schütt und gieß sie reichlich aus
In meines armen herzens haus.
19 Befiehl ihr, daß sie mit mir sey,
Und, wo ich gehe, siehe bey:
Bin ich in arbeit, helfe sie
Mit tragen meine schwere müh.
20 Gib mir durch ihre weise hand
Die recht erkenntniß und verstand,
Das ich an dir alleine lieb,
Und nur nach deinem willen leb.
21 Gib mir durch sie geschicklichkeit,
Zur wahrheit laß mich seyn bereit,
Daß ich nicht mach aus sauer süß,
Noch aus dem lichte finsterniß.
22 Gib lieb und lust zu deinem wort,
Hilf, daß ich bleib an meinem ort,
Und mich zur frommen schaar gesell,
In ihren rath mein wesen stell.
23 Gib auch, daß ich gern jederman
Mit rath und that, so gut ich kan,
Auch rechter unverfälschter treu
Zu helfen allzeit willig sey.
24 Auf daß in allem was ich thu,
In deiner lieb ich nehme zu.
Denn wer sich nicht der weisheit giebt,
Der bleibt von dir auch ungelibt.
First Line: | Herr, aller Weisheit Quell und Grund |
Author: | Paul Gerhardt |
Language: | German |
Copyright: | Public Domain |