1 Entbinde mich, mein Gott,
Von allen meinen ganden,
Womit mein armer geist
Noch so gebunden ist;
Mach aller feinde strick
Und rücke ganz zu schanden,
Durch den, in welchem du
Mein ein'ger retter bist;
Zerbrich, zerschalg, zerreiß,
Und mach mich durch den Sohn
Zum recht gefreyeten;
Sonst komm ich um die kron.
2 Ach! Gott, erst war ich recht
Ein sclave aller sünden;
Doch dein erbarmen hat
Mich davon frey gemacht.
Nun wollen sich aufs neu
Subtile stricke finden:
Ach! so wird doch mein fuß
Zuletzt ins garn gebracht!
O Vater, mach mich frey,
Stell mich auf weiten ram,
Daß sich mein geist ausbreit,
Als wie ein ceder-baum.
3 Was zieht mich niederwärts,
Daß ich nicht kan auffliegen?
Was macht mich denn so matt
In meinen christen lauf?
Ach! welche schwere last
Fühl ich noch in mir liegen;
Das drückt mich unterwärts,
Und läßt mich nicht hinauf:
O! woher nehm ich kraft,
Von allem los zu seyn,
So frey und los gemacht
Als wie ein vögelein?
4 Ach! dieser todes-leib
Beschwert die arme seele,
Die hütte drückt den geist,
Der drin gebunden liegt.
O! wer macht mich doch frey
Aus dieser sünden-hUole,
Das mein verlangen lust
Und freyen zugang kriegt?
Durchbrecher! brich doch durch,
Und mach mich völlig frey,
Daß mein geist nicht, wie ich,
Mehr so gefangen sey.
5 Ich weiß, ich liebe dich;
Doch, soll ichs recht bekenne,
Noch lange nicht so viel,
Als meine seel begehrt;
Es ist noch was in mir,
Ich kan es selbst nicht nenne,
Das öfters meinen geist
In deiner liebe stört.
Ach fänd ich, denk ich oft,
Doch nur ein täumelein,
Da ich ganz unverstört
dich möchte liebend seyn!
6 Such ich die einsamkeit,
Und wenn; es da zu finden,
So wär es freylich gut,
Wenn ich da könt allein
Mich gänzlich von mir selbst
Und meiner last entbinden,
Daß ich auch ohne mich
Könt recht als leine seyn;
Doch nun trag ich mit mir
Mein arges fleisch und blut,
Das in der einsamkeit
Auch nimmer in mir ruht.
7 Gedanken plagen mich,
Und eitle phantaseyen.
Zerstreuung mancherley,
Die schwermuth der natur,
Die kommt noch wohl dazu;
Ach! wer wird mich befreyen?
Wer zeigt zur freyheit mir
Die rechte sichre spur?
Ich armer, ach! wie lang
Soll ich gebunden seyn?
Wenn scahu ich durchs gefetz
Der vollen freyheit ein.
8 Die eigen-liebe schleicht
sich oft in meine glieder,
Und stört durch ihren trieb
Mir öfters alle ruh;
dis schlägt die freudigkeit
Der seelen mächtig nieder!
Kaum thut das herz sich auf,
so schließt sichs wieder zu.
Soll licht und finsterniß
Denn stets im wechsel seyn?
Wenn kommt mein volles licht
Und steter sonnen-schein?
9 Ach! Gott, entbinde mich
Von allen meinen banden,
Und was mich noch subitl
Im fleisch gefangen hält.
Ist des nicht schon genug,
Wenn eines nur vorhanden,
Daß mich noch binden kan
In dieser sünden welt?
Soll ich gebunden seyn;
So binde deine treu
Mein armes herz, auf daß
Ich dein gefangne sey.
10 Wen deine liebe bindt,
Ist nicht ein knecht der sünden;
Er bleibt in banden auch
Ein rechter freyer mann:
Mein Vater, so will ich
Mich gerne lassen binden,
Wenn ich dien freyes kind
Auf ewig bleiben kan.
Nur mach mich von mir frey,
Und von der erden welt;
Daß meine edie seel
Ihr freyheits-recht behält!
Text Information | |
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First Line: | Entbinde mich, mein Gott |
Language: | German |
Publication Date: | 1826 |
Topic: | Vom geistlichen Kampf und Sieg; Spiritual Struggle and Victory |
Notes: | Mel. Mein Schöpfer bilde. |