15. Ich finde stetig diese zwey

1 Ich finde stetig diese zwey,
in meinem Wandel und Gemüthe:
daß ich ein armer Sünder sey,
und Gott die wesentliche Güte!
Ich leb vor Gott zufriedne so,
und bin bey meinem Elend froh.

2 Ich bin entblößt von allem Gut,
von allem Licht, und Kraft, und Leben;
Gott alles ist, und hat und thut,
Er kan und will mir alles geben:
wenn ich mein tiefes Nichts bedenk,
ich mich in Gott noch tiefer senk.

3 Pfui, pfui mit aller Frömmigkeit,
wo man sich selbst besieht und liebet!
diß ist der Tugend Lauterkeit,
wenn man nur Gott die Ehre giebet:
Das Nichts ist manchem wohl im Mund,
doch sitzt es wenigen im Grund.

4 Man nennt sich öfters arm und schwach,
wer glaubt es aber recht non Herzen?
und wer es glaubt, dem bringt es Plag;
man glaubt's mit Unruh und mit Schmerzen:
Im Nichts bringt Armuth keine Pein,
im Nichts ist man mit Frieden klein.

5 Diß Nichts soll meine Wohnung seyn:
Herr las mich nimmer Etwas werden!
sey du mein Ruhm und Freud allein,
mein Alles droben und auf Erden,
laß mich verschwinden ganz und gar,
sey Du in mir nur offenbar.

6 Ich will wohl gerne schöne seyn,
doch nur damit ich dir gefalle;
ich such vor Menschen keinen Schein,
wilt du? laß mein vergessen alle;
ich sey veracht, und du geehrt,
so hab ich, was ich hab beghert.

7 Führ mich zur höchsten Heiligkeit,
doch laß die Eigenheit nicht wissen:
gib mir des Himmels Herrlichkeit,
ich leg die Kron zu deinen Füssen:
Mit Freuden seh ich nichts in mir,
mit Freuden geb ich alles dir.

Text Information
First Line: Ich finde stetig diese zwey
Language: German
Publication Date: 1792
Notes: Mel: O ne vit plus dans
Tune Information
(No tune information)



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